Blut-Abnahme
Bernd Harder
Sind Sie eine 0? Ein A-Typ? Oder gar AB? Oder wissen Sie Ihre Blutgruppe etwa nicht? Das sollten Sie aber. Denn im Blut-Typus liegt der Schlüssel zu Gesundheit und Traumfigur. Das jedenfalls behauptet der Amerikaner Peter D'Adamo, der mit seiner „Blutgruppen-Diät" für Furore sorgt. Doch das Ganze ist wenig mehr als Geschäftemacherei.
Musik soll einem im Blut liegen. Oder die Wanderlust. Heißt es jedenfalls in alten Volksliedern. Der amerikanische Naturheilkundler Peter D'Adamo (der in Deutschland fälschlicherweise als Dr. med. zitiert wird) will jetzt sogar den Schlüssel „zu der geheimnisvollen Welt von Gesundheit, Krankheit, Langlebigkeit, körperlicher Vitalität und emotionaler Stärke" im Blut entdeckt haben. Seine Blutgruppen-Diät heilt angeblich Übergewicht, Diabetes, Magengeschwüre und soll sogar den Gesundheitszustand von Aids- und Krebspatienten verbessern. Allein im deutschsprachigen Raum fand sein Erstlingswerk „4 Blutgruppen. 4 Strategien für ein gesundes Leben" mehr als 300 000 Käufer. Das im Frühjahr 2000 erschienene „Kochbuch für ein gesundes Leben" ist die praktische Umsetzung der Theorie am Topf.
Die Blutgruppen-Diät gründet im Wesentlichen auf den Lectinen. Das sind Eiweißstoffe, die vom Immunsystem des Menschen als eine Art Klebstoff herangezogen werden, um Krankheitserreger einzufangen. Bekanntlich treten auch bei Bluttransfusionen Abwehrreaktionen auf, wenn die Blutgruppe des Spenders nicht mit der des Empfängers harmonisiert. Denn die vier Blutgruppen unterscheiden sich durch A-, B- oder 0-Antigene auf den roten Blutkörperchen. In einem solchen Fall werden Antikörper gegen die artfremden Eindringlinge auf den Plan gerufen: Die Blutzellen verklumpen. Auch Lectine besitzen im Reagenzglas diese Fähigkeit, wobei sie an die Blutgruppenepitope oder auch andere Zucker andocken. Übrigens verwendet man diese Reaktion, um Lectine im Labor aufzuspüren.
Die Tatsache nun, dass Lectine auch in der Nahrung enthalten sind, bringt D' Adamo zu seinem Diät-Konzept. Seiner Auffassung nach vertragen sich bestimmte Lebensmittel mit bestimmten Bluttypen nicht. Zum Beispiel: Milch soll das Blut von Menschen mit der Blutgruppe A verkleben und dadurch den Organismus schädigen, weil Milch-Lectine vom Antigen des A-Blutes angeblich als „Feind" erkannt werden. Vertreter der Blutgruppe 0 sollen Weizen meiden, „B-Typen" Fisch und „AB-Typen" Schweinefleisch. Allerdings:
„In keinem Fall ist wissenschaftlich dokumentiert, dass Lectine aus Nahrungsmitteln im Blut zu Verklumpungen führen", kritisiert Professor Hans-Joachim Gabius, Direktor des Instituts für Physiologie, Physiologische Chemie und Tierernährung der Universität München. Das passiert allenfalls im Reagenzglas: Jeweils ein Baustein, ein so genanntes Oligosaccharid (eine chemische Verbindung aus der Klasse der Zucker), legt die jeweilige Blutgruppe fest. Dabei stellt die Blutgruppe 0 die Grundstruktur für alle Blutgruppen dar. Eine Person hat die Blutgruppe A oder B, wenn die Grundstruktur der Blutgruppe 0 durch einen entsprechenden Zuckerbaustein erweitert ist. Im Laborversuch können sich Lectine an die jeweiligen Zuckerbausteine einer Blutgruppe binden (agglutinieren). Völlig unbeachtet lässt D'Adamo, dass der menschliche Organismus selbst Lectine mit der Fähigkeit zur AB0-Blutgruppenbindung (zum Beispiel an Lymphozyten und Endothelzellen) herstellt, von denen jedoch keinerlei Risiko ausgeht.
Mehr noch: Unter Ernährungsfachleuten ist sogar umstritten, ob Nahrungs-Lectine es überhaupt in die Blutbahn schaffen oder ob sie in den Darmwänden hängenbleiben. Laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) gilt lediglich für bestimmte Lectine aus Tomate, Erdnuss und Weizenkeim als gesichert, dass sie in messbarem Umfang aus dem Verdauungstrakt ins Blut übertreten - was aufgrund des geringen Umfangs dieses Transports völlig unproblematisch ist. Generell zerstört Erhitzen die Lectin-Aktivität in allen Nahrungsmitteln mit Ausnahme von gerösteten Erdnüssen - der „A-Typ" etwa müsste also das von D'Adamo als „riskant" eingestufte Fleisch schon roh verschlingen, um auch nur möglicherweise gefährdet zu sein. Dass der Bestseller-Autor bloß Pseudo-Begründungen für seine Ernährungsempfehlungen liefert, wird an einer Vielzahl von weiteren Beispielen deutlich: Der Zucker N-Acetylgalaktosamin (GalNAc) ist zwar Teil der Blutgruppenstruktur von Typ A, kommt aber auch blutgruppenunabhängig vor. Damit beträfe die Zielerkennung der Lectine im Körper nicht nur das AB-Blutgruppensystem, sondern auch eine Vielzahl anderer, blutgruppenunabhängiger Zellen. Eine weitere Auflistung von Mängeln mit Quellenangaben zur wissenschaftlichen Literatur findet sich im DGE-Info 6/2000 (S. 84-86) bzw. im Internet unter www.dge.de.
Viele Fehler „hätten sogar dem Lektorat oder Übersetzer auffallen müssen", ärgert sich der Kölner Immunbiologe Professor Gerhard Uhlenbruck über D'Adamos „vage Spekulationen und unbewiesene Behauptungen": So werde zum Beispiel die Blutgruppe B mitnichten durch D-Galaktosamin determiniert, wie der Autor behauptet, sondern durch D-Galaktose. Nicht einmal der historische Abriss des 45-jährigen New Yorkers über Entstehung und Verteilung der Blutgruppen sei korrekt. D'Adamo begründet diese ausschließlich mit den veränderten Lebens- und Ernährungsgewohnheiten des Menschen im Laufe der Jahrtausende. Tatsächlich, so Uhlenbruck, sei die Verteilung der Blutgruppen ganz entscheidend durch Seuchenzüge und Infektepidemien zustande gekommen.
Dass man mit der Blutgruppen-Diät tatsächlich abnehmen kann, stellen auch Kritiker nicht in Abrede. Das jedoch liegt weniger im Blut als in der Natur der Sache: Bei den Empfehlungen D'Adamos handelt es sich durchgehend um eine kalorienarme Kost, garniert mit Tipps für Bewegung und Entspannung - also allgemein gültige Strategien zur Gewichtsreduktion. Außerdem zeitigt in aller Regel jede wie auch immer geartete Systematisierung der Essgewohnheiten Erfolge im Kampf gegen überflüssige Pfunde. Dies vermag wohl teilweise den überraschenden Verkaufserfolg des Buches zu erklären - „abgesehen vom Kausalitätsbedürfnis des Menschen, welches befriedigt wird", folgert Uhlenbruck. Und das funktioniere in diesem Fall so: „Aber hallo, dies und das hängt ja mit meiner Blutgruppe zusammen!" Dazu passt auch, dass D'Adamo sich in einem Interview mit dem Weltbild-Magazin zwar von der kuriosen Blutgruppen-Manie in Japan distanziert (dort wird die Bluttypologie sogar bei der Job- oder Partnerwahl herangezogen); im gleichen Atemzug kündigt er allerdings ein neues Werk aus seiner Feder an, das „einen Blick darauf wirft, welche Effekte Blutgruppen auf die Persönlichkeit haben".
Was indes vor allem Mediziner gegen den Erfinder der Blutgruppen-Diät aufbringt, sind dessen Thesen zu Gesundheit und Krankheit. „D'Adamo verwendet ungesicherte, verführerisch einfache Annahmen als Fakten und stellt Lectine in Nahrungsmitteln als eine Gefahr dar", urteilt Gabius. „Er kann bei Kranken Hoffnungen wecken, ohne sich im Einzelfall festzulegen. Wissenschaftlich geprüfte, in Fachzeitschriften veröffentlichte Daten zur Bestätigung seiner Theorien und Empfehlungen legt er nicht vor." So behauptet D'Adamo, dass es umgekehrt möglich sei, aus „geeigneten" (also mit der Blutgruppe korrespondierenden) Nahrungs-Lectinen ein Heilmittel gegen Krebs zu gewinnen. Bei Brustkrebs zum Beispiel soll ein Speiseplan mit Linsen, Weinbergschnecken, Erdnüssen und Weizenkeimen die Tumorzellen neutralisieren. Doch weder für den Eintritt der Lectine in den Blutkreislauf noch für die ihnen unterstellte anti-metastatische Wirkung gibt es bislang den geringsten Nachweis. Vorsichtshalber weist D'Adamos deutscher Verleger im Klappentext des Buches darauf hin, dass er keinerlei Gewähr für die Richtigkeit solcher Ratschläge übernimmt.
Dieser Artikel erschien im "Skeptiker", Ausgabe 4/2000.