Manfred Stöhr
Strahlende Jugend bis ins hohe Alter, dieses Versprechen beschert der Anti-Aging-Industrie Gewinne, von denen andere Branchen nur träumen können. Aber neben seriösen Angeboten gibt es unzählige angebliche „Wundermittel“, deren Wirkung gleich Null oder zumindest sehr fraglich ist. Zu den Klassikern des Anti-Aging-Marktes gehören Vitamine und Mineralstoffe. Doch Gesunde können bei ausgewogener Ernährung getrost auf Vitaminpräparate verzichten. Auch bei der Einnahme von Mineralstoffen ist weniger meist mehr. Überdosierungen können leicht die Gesundheit schädigen. Ganz ähnlich ist die Situation bei den – teils äußerst kostspieligen – Hormonpräparaten und -therapien. Der moderne Jungbrunnen bleibt trotz Wachstumshormon, DHEA, Sexualhormonen und Melatonin ein Traum. Mehr Erfolg als alle Anti-Aging-Mittel verspricht ein ganz einfaches Rezept: gesunde Ernährung, gemäßigtes Bewegungstraining und eine gelassene Einstellung zum Altern.
Jeder will alt werden, aber niemand will alt sein. Der Traum von ewiger Jugend und Schönheit ist kein Spezifikum unserer Epoche, sondern existiert seit Tausenden von Jahren. Neu sind allerdings die Vehemenz und die Breitenwirkung dieser Bewegung in unserer Zeit, die auf mehrere Ursachen zurückgeht.
Eine Menschheit, die sich immer komfortabler auf diesem Planeten einrichtet, besitzt verständlicherweise eher den Wunsch, diesen möglichst lange zu bewohnen, als eine von Armut, Krieg, Hunger und Seuchen heimgesuchte Bevölkerung. Auch der hohe Stellenwert der Jugendlichkeit in unserer Gesellschaft verstärkt die Bestrebungen, sich diese – und die damit verbundene Wertschätzung – möglichst lange zu erhalten. Ein anderer Grund für den Anti-Aging-Boom ist der weitgehende Verlust der religiösen Dimension. Die westliche Welt leidet an einer metaphysischen Auszehrung, einer Sinnleere, die kompensiert wird durch Spiel, Spaß und Wellness. Parallel dazu verläuft das Schwinden ethischer Prinzipien, sodass moralische Hemmungen bei der Wahl der Mittel keine große Rolle mehr spielen. Eine weitere, untergründig mit dem Verlust der Religiosität zusammenhängende Ursache der Anti-Aging-Bewegung ist Angst. Die Angst vor dem Tod motivierte die Menschen früherer Zeiten zu Opfern, Stiftungen, Bau von Kapellen, Kirchen und Klöstern, während sie die heutigen Menschen in Praxen, Kliniken und in die Folterkammern der Fitness-Studios treibt, außerdem in die Fänge unzähliger medizinischer Heilspropheten mit oft obskuren (aber gewinnträchtigen) Mitteln zur Gesunderhaltung und Lebensverlängerung.
„Nahrungsergänzungsmittel“ – Vitamine, Mineralien, sekundäre Pflanzenstoffe, Hormone
Der Trend zu einem langen Leben in Gesundheit und jugendlicher Frische hat zum einen das Interesse an sinnvollen Maßnahmen wie moderatem Bewegungstraining und Ausdauersport sowie vernünftiger Ernährung geweckt (vgl. Kasten "Die sieben medizinischen Todsünden"). Andererseits hat er zu einem umfassenden Anti-Aging-Boom geführt und die diesbezügliche Industrie zu einer milliardenschweren Branche avancieren lassen, die teilweise seriöse Angebote bereithält, aber auch mit falschen Versprechungen und hochgejubelten Halbwahrheiten die Menschen zum Kauf ihrer Produkte verführt. Im Folgenden sollen einige Substanzen vorgestellt werden. Die so genannten Nahrungsergänzungsmittel nehmen eine Zwischenstellung zwischen Arzneimitteln und Lebensmitteln ein, wobei die Zuordnung bestimmter Hormone wie DHEA oder Melatonin zu dieser Gruppe mehr als strittig ist. In den letzten Jahren hat sich ein boomender Markt entwickelt, auf dem eine Flut von Einzelstoffen und verschiedenartigsten Kombinationen angeboten und glänzende Geschäfte gemacht werden. So erzielen die „Health Food Stores“ in den USA einen Jahresumsatz von sechs Milliarden Dollar, und auch die Regale deutscher Apotheken und Reformhäuser quellen von derartigen Substanzen über.
Vitamine
Vitamine wirken im Stoffwechsel als Katalysatoren biochemischer Prozesse oder als hormonähnliche Stoffe und sind für den Menschen absolut lebensnotwendig. Prinzipiell ist eine ausreichende Vitaminzufuhr durch reichlichen Genuss von Obst, Salat, Gemüse und mäßige Zufuhr von Fisch, Fleisch, Eiern und Milchprodukten anzustreben, zumal sich in der Nahrung zahlreiche weitere, noch wenig erforschte, aber offenbar für die Gesundheit wichtige phytochemische Substanzen befinden. Eine ungesunde Ernährungsweise lässt sich sicher nicht durch Zufuhr eines Multivitaminpräparates kompensieren.
Zusammengefasst ist die Vitaminversorgung bei gesunder Ernährung in der Regel ausreichend. Eine ergänzende Zufuhr empfiehlt sich bei erhöhtem Bedarf (z. B. Schwangerschaft, Wachstumsalter) oder bei verminderter Zufuhr (z.B. Krankheit, Abmagerungsdiät), und zwar am besten durch eine Multivitamin-Mineralstoff-Kombination. Vegetarier benötigen besonders Vitamin B12 und D, Senioren darüber hinaus Biotin und Pantothensäure. Bei Diabetikern hilft die Supplementierung mit Vitamin C und E, Organschäden zu vermeiden und die Insulinwirkung zu optimieren; außerdem besteht bei dieser Erkrankung ein erhöhter Bedarf an B-Vitaminen.
Ein Beispiel für eine vitaminähnliche Substanz ist Coenzym Q10 – eine in Anti-Aging-Kreisen hochgejubelte Substanz, die in den meisten Zellen des menschlichen Körpers aus Tyrosin und Phenylalanin gebildet werden kann und strukturell mit den Vitaminen E und K verwandt ist. Die Verabreichung dieser Substanz in Tagesdosen zwischen 90 und 390 Milligramm soll einen Schutz vor zahlreichen Erkrankungen – unter anderem vor Krebs und Herz-Kreislauf-Krankheiten – garantieren (Lockwood et al. 1994; Soja, Mortensen 1997), wobei die wenigen verwertbaren Studien keinerlei Hinweise darauf liefern (Khatta et al. 2000; Prieme et al. 1997). Möglicherweise reduziert Coenzym Q10 jedoch die Nebenwirkungen einer den Cholesterinspiegel senkenden Behandlung mit Statinen, sodass dies derzeit die einzige halbwegs begründbare Indikation zur Verabreichung dieser Verbindung darstellt, die übrigens auch in diversen Nahrungsmitteln (Fleisch, Eier, Milch, Getreide) enthalten ist. Da die Gewebskonzentration von Coenzym Q10 im Lauf des Lebens abnimmt, wird es von vielen Anti-Aging-Medizinern empfohlen, ohne dass ein Nutzen belegt ist. Absolut kontraindiziert ist es während der Strahlentherapie einer Krebsbehandlung, da deren Effektivität hierdurch beeinträchtigt wird.
Obst versorgt den Körper mit Vitaminen und sekundären Pflanzenstoffen
Mengen- und Spurenelemente
Mineralstoffe benötigt der menschliche Organismus in unterschiedlichen Mengen. Bei einem Tagesbedarf von über 50 Milligramm spricht man von Mengen-, darunter von Spurenelementen.
Unter den Spurenelementen hat Selen als Komponente des wichtigsten körpereigenen Antioxidans – der Glutathion-Peroxidase, die freie Sauerstoffradikale unschädlich macht – große Aufmerksamkeit in der Anti-Aging-Medizin erfahren. Dieses Spurenelement ist besonders in Süddeutschland Mangelware, da die Böden und damit die darauf wachsenden Pflanzen eine zu geringe Konzentration aufweisen. Dabei handelt es sich bei Selen um ein besonders wichtiges Spurenelement, das unter anderem im Stoffwechsel der Schilddrüse und der Muskulatur eine wichtige Rolle spielt und der Entstehung von Lungen-, Darm- und Prostatakrebs entgegenwirken soll. Dahinter steht die Theorie, dass freie Radikale das genetische Material so verändern, dass die Zelle ihr Wachstum nicht mehr kontrollieren kann und zur Krebszelle entartet.
Weiterhin stärkt Selen angeblich das Immunsystem, reduziert das Risiko einer Herzerkrankung und hemmt die Vermehrung des HI-Virus, wobei ein Schutz gegenüber karzinogenen Stoffen und Viren bislang nur tierexperimentell nachgewiesen ist. Schließlich begünstigt es die Aufnahme der Vitamine und greift auf vielfache Weise in den Zellstoffwechsel ein; unter anderem begünstigt es die Entgiftung von Schwermetallen (z. B. Blei, Quecksilber, Cadmium), Drogen, Nikotin und Alkohol. In Selen-Mangelgebieten dürfte daher eine Nahrungsergänzung durch ein selenhaltiges Mineralstoffpräparat empfehlenswert sein.
Bei der Substitution von Spurenelementen ist generell zu beachten, dass Eisen-, Zink-, Chrom- und Selenpräparate bereits toxisch wirken, wenn die empfohlenen Tagesdosen nur um das Fünffache überschritten werden. Darüber hinaus sind die gegenseitigen Beeinflussungen bei der Aufnahme im Körper zu beachten. Ein ausgewogenes Mischpräparat in physiologischen Dosen ist hohen Dosen einzelner Spurenelemente vorzuziehen.
Hormone
Nachdem die Erwartungen in die Verjüngungskraft der Vitamine und Mineralstoffe nach jahrzehntelangem Gebrauch etwas realistischeren Einschätzungen gewichen sind, konzentriert sich die Sehnsucht der Menschheit jetzt auf „Power-“ und „Anti-Aging-Hormone“. Die unhaltbaren Versprechungen der Anti-Aging-Mediziner in Bezug auf einen „hormonellen Jungbrunnen“ basieren auf einer Kombination von Wunschvorstellungen und finanziellen Interessen.
Wachstumshormon
Die nach dem dritten Lebensjahrzehnt nachlassende Produktion von Wachstumshormon trägt zu einigen Alterungsvorgängen bei, zum Beispiel zur Minderung der Muskelmasse bei gleichzeitiger Zunahme an Fettmasse. Das Absinken dieses Hormonspiegels im Alter bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass das Altern hierauf beruht und durch Substitution aufzuhalten oder gar umzukehren wäre. Vielmehr entbehrt der Einsatz von Wachstumshormon in der Anti-Aging-Medizin bislang jeder wissenschaftlichen Grundlage.
Es gibt weder verlässliche Daten zur Wirksamkeit noch zur Sicherheit, während Nebenwirkungen wie Ödeme (Wassereinlagerungen in das Gewebe) und Gelenkschmerzen häufig sind (Strasburger et al. 2002) und eine Verschlechterung der Glukosetoleranz eintreten kann. Das Wachstumshormon verbessert zwar das Verhältnis von Muskel- zu Fettmasse, jedoch ohne dass sich hieraus ein funktioneller Nutzen wie eine Zunahme der Muskelkraft oder eine verminderte Häufigkeit von Knochenbrüchen ergibt, wie dies durch ein kostenloses und nur wenig Mühe machendes körperliches Training leicht zu erreichen ist. Außerdem sind Spätfolgen wie Typ-II-Diabetes, Akromegalie (Vergrößerung und Vergröberung von Händen, Füßen und Gesicht), Karpaltunnelsyndrom, Gynäkomastie (Brustvergrößerung bei Männern) und eine Häufung bestimmter Tumoren nicht auszuschließen (Jockenhövel et al. 2001; Brückel 2002). Die angebliche Besserung des Allgemeinbefindens und der Leistungsfähigkeit sowie die unbewiesene Risikosenkung für Herzinfarkt und Osteoporose wiegen die Gefahren einer Substitution mit dem Wachstumshormon nicht auf, zumal in Tierexperimenten auch noch eine Häufung bösartiger Tumoren beobachtet wurde (Wolf et al. 1993; Anisimov, 2002). Außerdem weisen Mäuse mit überschießender Produktion von Wachstumshormon eine verkürzte, solche mit einer verminderten Produktion eine erhöhte Lebenserwartung auf!
Hinzu kommen die nicht unbeträchtlichen Kosten für die Injektion von Wachstumshormon in Höhe von 5000 bis 10 000 Euro jährlich; die über obskure Quellen angebotenen Präparate in Tabletten- und Sprayform sind unwirksam.
Dehydroepiandrosteron (DHEA)
DHEA und dessen aktiver Sulfat-Metabolit DHEAS werden wie Cortisolin der Nebennierenrinde produziert.
DHEA stellt eine Vorstufe von Testosteron, Östrogen, Progesteron und Corticosteron dar, wobei es beim Mann überwiegend in Östradiol, bei der Frau in Testosteron umgewandelt wird. Die DHEA-Produktion in der Nebennierenrinde nimmt bei beiden Geschlechtern in der zweiten Lebenshälfte ab, was die Anti-Aging-Mediziner als Adrenopause bezeichnen und woraus sie eine Substitutionsbedürftigkeit ableiten. Dabei gibt es keine verlässlichen Hinweise darauf, dass dieser Abfall negative Auswirkungen auf die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit hat. Trotzdem wird DHEA besonders in den USA in großem Umfang eingesetzt, wobei sich die Konsumenten eine Vorbeugung gegen das Altern und einen Schutz vor alterskorrelierten Krankheiten wie Krebs, Herzinfarkt, Schlaganfall, Alzheimer-Demenz sowie Funktionsstörungen des Immunsystems erhoffen. Bislang sind aber weder ein zweifelsfreier Nutzen noch die Unschädlichkeit einer DHEA-Substitution nachgewiesen. Einige Studien weisen auf eine mögliche Besserung des Allgemeinbefindens und der Sexualfunktionen hin, ohne dass jedoch eine Beeinflussung der Alterungsprozesse erfolgt.
Manche DHEA-Effekte sind mit physiologischen Dosen bis maximal 50 Milligramm nicht zu erzielen, sondern erfordern unphysiologisch hohe Dosen zwischen 100 und 1000 Milligramm täglich. Bei Männern, nicht jedoch bei Frauen zwischen 50 und 65 Jahren nahm bei einer Tagesdosis von 100 Milligramm täglich die Fettmasse um 6 Prozent ab und die Kraft der Oberschenkel- und Rückenmuskulatur um 14 Prozent zu (Morales et al. 1998). Dieses nicht gerade eindrucksvolle Ergebnis ist leicht durch ein Ausdauertraining zu überbieten. Nur bei Männern ist auch ein günstiger Effekt in Bezug auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen festzustellen, nur bei Frauen ein positiver Einfluss auf die Knochendichte (Callies, Allolio 2002). In der Studie von Flynn et al. (1999) an 60- bis 84-jährigen Männern ließen sich dagegen keinerlei positive Effekte ermitteln: Allgemeinbefinden, sexuelle Potenz, Blasenfunktion und Körperbau zeigten zwischen DHEA- und der Placebogruppe keine Unterschiede. Auch die behauptete Besserung der kognitiven Leistungsfähigkeit älterer Menschen unter DHEA sowie der vorbeugende Effekt gegenüber einer Demenz sind durch keine seriösen Studien untermauert (Huppert, van Niekerk 2002).
Aufgrund der bisherigen Erfahrungen scheint die Gabe von DHEA vertretbar bei älteren Menschen mit Einbußen bei Stimmung, Vitalität und Sexualität, wobei erst nach drei bis vier Monaten mit etwaigen positiven Effekten zu rechnen ist (Callies, Allolio 2002). Die im Rahmen einer Hormonersatztherapie erforderlichen Dosen liegen für Frauen bei 10 bis 30 Milligramm, für Männer bei 20 bis 50 Milligramm.
Insgesamt muss die von vielen Autoren behauptete Anti-Aging-Wirkung von DHEA als unbewiesen in Frage gestellt werden.
Infokasten
Stichwort Altern
Im Rahmen des Anti-Aging-Konzeptes spielt die Unterscheidung zwischen kalendarischem und biologischem Alter eine wichtige Rolle. Das „chronologische“ (oder „kalendarische“) Alter ist einfach zu bestimmen: Es umfasst die bisher gelebte Zeit, d.h. die Zeit zwischen Geburt und heute und ist durch diese Daten festgelegt.
Im Gegensatz dazu berücksichtigt das biologische Alter die körperliche Verfassung und das psychologische Alter die geistige Einstellung eines Menschen. Beide können vom kalendarischen Alter nach oben oder unten abweichen.
Während es einige genetische und damit unbeeinflussbare Faktoren gibt, die für das biologische Alter bedeutsam sind, können viele relevante Faktoren, wie z.B. Ernährung, Sozialverhalten und körperliche Bewegung, beeinflusst werden. Rauchen, chronische Erkrankungen und Bewegungsmangel lassen beispielsweise vorzeitig altern, erhöhen also das biologische Alter. Hingegen lassen z. B. eine gesunde Ernährung und geringe psychische Belastungen einen Menschen langsamer altern, erniedrigen somit sein biologisches Alter. Tests zur Berechnung des biologischen Alters sind populär und machen oft schon aufgrund weniger Anhaltspunkte ungerechtfertigt genaue Jahresangaben. Hierbei ist zu beachten, dass zwar meist die grundsätzliche Richtung, in die ein Faktor das biologische Alter beeinflusst, unstrittig ist. Wie genau aber ein bestimmter Faktor das biologische Alter ändert, kann nur auf Grund von epidemiologischen Erhebungen geschätzt werden.
Umfangreiche Fragebögen im Rahmen einer seriösen Beratung können jedoch zur allgemeinen Einschätzung der individuellen Lebensführung dienen. Dies ermöglicht zugleich, die größten „Alterungssünden“ aufzudecken und damit Präventionsmaßnahmen zu ergreifen.
Jochen Bergmann
Testosteron
Beim alternden Mann lässt die Produktion von männlichem Sexualhormon (Testosteron) allmählich nach, was in Anlehnung an den Begriff Menopause (= Ende der monatlichen Menstruationsblutungen der Frau) von manchen als Andropause bezeichnet wird. Der wissenschaftlich korrekte Begriff lautet Altershypogonadismus.
Symptome des Testosteronmangels sind Nachlassen der Libido und der Erektionsfähigkeit, Blutarmut, Hauttrockenheit, Schweißausbrüche, Schlafstörungen, Osteoporose, Antriebs- und Stimmungstief sowie Einbußen an Muskelmasse bei gleichzeitiger Zunahme des Fettgewebes. Ein positiver Effekt einer Testosteronsubstitution auf die Knochendichte ist nur zu erwarten, wenn der Hormonspiegel zuvor erniedrigt war (Brückel 2002).
Die geschilderte Symptomatik des Testosteronmangels lässt sich durch eine Hormonsubstitution bessern, wobei zuvor Kontraindikationen wie ein Prostatakarzinom und ein Schlafapnoe-Syndrom ausgeschlossen werden müssen. Nebenwirkungen umfassen unter anderem die Aktivierung eines okkulten Prostatakarzinoms (die während der Behandlung viertel- bis halbjährlich PSA-Bestimmungen notwendig macht), die Entwicklung einer Polyzythämie (Vermehrung von Blutzellen), einen Anstieg des Cholesterinspiegels sowie Haarausfall. Wer dies vermeiden möchte, kann versuchen, die körpereigene Testosteronproduktion anzukurbeln, wobei dessen Spiegel bereits bei Betrachtung sexuell erregender Objekte steigt, außerdem bei sexuellen Kontakten, Abbau von Fettpolstern, Ausgleich eines Zinkmangels sowie Verminderung des Alkoholkonsums und regelmäßigem körperlichen Training. Außerdem sollen Rotklee-Gesamtextrakt, der vor allem die Östradiolproduktion des Mannes hemmt, Haferflocken und Ginseng wirksam sein und einen Libidoschub nach sich ziehen. Androgene und Androstendion erhöhen nicht den Spiegel an Testosteron, sondern an weiblichen Sexualhormonen (Östradiol) und senken zudem die Konzentration an HDL-Cholesterin. Eine Substitution mit dieser Substanz birgt bei Männern ein erhöhtes Risiko an Herz- und Gefäßkrankheiten, Bauchspeicheldrüsenkrebs und Vergrößerung der Brustdrüsen, während die erwünschten Effekte wie Zunahme der Muskelmasse und der Libido ausbleiben (Moyad 2002).
Altern ist eine biologische Gesetzmäßigkeit
Östrogene und Gestagene
Die Wechseljahre sind eine Lebensphase und keine Krankheit, wobei in dieser Periode allerdings so belastende Beschwerden auftreten können, dass eine Behandlung erforderlich wird. Besonders häufig sind Hitzewallungen mit Schweißausbrüchen, depressive Verstimmungen und Rückbildungserscheinungen im Genitalbereich mit Scheidentrockenheit Anlass für ein therapeutisches Eingreifen. Die zweifellos wirksamste Therapie dieser Symptomatik besteht in der Gabe von Östrogenen, wobei meistens bereits 1 Milligramm Östradiol oder 25 Mikrogramm Östradiol-Pflaster ausreichend sind (Dören 2002). Eine erfreuliche Begleiterscheinung einer solchen Östrogensubstitution besteht in der Verminderung des Osteoporose-Risikos sowie der Erkrankungshäufigkeit an Darmkrebs und Alzheimer-Demenz (Zandi et al. 2002), während auf der Negativseite eine Häufigkeitszunahme von Brustkrebs, Herzinfarkt und Schlaganfall zu verzeichnen sind, allerdings nur bei einer über fünfjährigen Östrogengabe in Kombination mit Gestagenen.
Aufgrund neuester Daten der „Women’s-Health-Initiative“-Studie (WHI) wird die Risikominderung für eine Alzheimer-Demenz in Frage gestellt.
Die Erwartung, durch Substitution mit Sexualhormonen darüber hinaus jung, aktiv, lebensfroh und attraktiv zu bleiben, ist durch eine Studie an 2763 Frauen in der Postmenopause bitter enttäuscht worden (Hlatky et al. 2002). Ebenso weisen die Ergebnisse der WHI darauf hin, dass eine Östrogen-Progestin-Gabe zwar bei der Untergruppe der 50- bis 54-jährigen Frauen eine Verminderung der Hitzewallungen und Schlafstörungen bewirkt, dass aber kein signifikanter Effekt auf den allgemeinen Gesundheitszustand, die Vitalität, das seelische Befinden und das Sexualleben feststellbar ist (Hays et al. 2003).
Infokasten
Anti-Aging: Altern umkehren, vermeiden, bekämpfen...?
Anti-Aging ist im Prinzip keine neue Methode. Im Gegenteil, es scheint zur Kultur des Menschen zu gehören, seine Vergänglichkeit zu bekämpfen und ein langes, möglichst ewiges Leben anzustreben. So hat jede Generation ihren Jungbrunnen gesucht und u.a. auch mehr oder weniger obskure Verfahren dafür angewandt.
Die Versprechungen des aktuellen Anti-Aging-Booms ähneln denen aus früheren Zeiten: Einige Anbieter verheißen ein ewiges Leben, andere zumindest eines bis zu 150 Jahren. Etwas bescheidener glauben die meisten Anti-Aging-Mediziner, ein möglichst langes und gesundes Leben zusichern zu können.
Um dies zu erreichen, werden einerseits klassische und allgemein bewährte Maßnahmen wie z.B. angemessene Ernährung, regelmäßige körperliche Betätigung, Meditationstechniken und Vermeidung negativer Belastungen („Stress“) empfohlen. Andererseits propagiert man Mittel, wie z. B. Anti-Aging-Cocktails, deren Wirkung unklar ist bzw. die sogar eher einen negativen als einen positiven Einfluss auf die Gesundheit und den Alterungsprozess haben können.
Über die Einbeziehung plastisch-chirurgischer Eingriffe und anderer kosmetischer Maßnahmen zur rein äußerlichen Verjüngung gibt es unterschiedliche Meinungen.
Melatonin
Melatonin ist ein in der Zirbeldrüse des Gehirns gebildetes Hormon, dessen Aufgabe in der Regulierung des Schlaf-Wach-Rhythmus besteht. Die Bildung und Ausschüttung wird über den Hypothalamus gesteuert und durch Dunkelheit um das Zehnfache gesteigert (Herbert, Kava 1995), wobei gegen 2 Uhr die höchsten Konzentrationen erreicht werden. Im Alter lässt die Melatoninproduktion nach, was mit chronischen Schlafstörungen einhergehen kann. Teilweise lassen sich diese durch Verabreichung von Melatonin bessern. Melatonin stellt gewissermaßen das körpereigene Schlafmittel dar und ist daher auch bei Jetlag geeignet, die innere Uhr – das heißt den besonders bei Flügen in östlicher Richtung über mehrere Zeitzonen in Unordnung geratenen zirkadianen Rhythmus – neu einzustellen.
Eine Studie mit 339 norwegischen Ärzten ergab weder mit einer Dosis von 0,5 Milligramm noch mit 5 Milligramm Melatonin einen Unterschied im Ausmaß des Jetlags gegenüber Placebo (Spitzer et al. 1999). Die Mehrzahl der bislang durchgeführten Untersuchungen ergab hingegen einen vergleichbaren positiven Effekt bei beiden Dosen, wobei nach Einnahme von 5 Milligramm der Schlafeintritt rascher erfolgte und der Schlaf tiefer war. Retard-Produkte sind weniger effektiv als solche, die rasch einen hohen Melatoninspiegel hervorrufen (Herxheimer, Petrie 2002). Der Schlaf von Gesunden wird durch Melatonin (5 Milligramm über vier Wochen) nicht beeinflusst; der von 65- bis 84-jährigen Patienten mit Schlafstörungen zeigte in einer aktuellen Studie mit allerdings kleiner Fallzahl ebenfalls keine Besserungstendenz (Baskett et al. 2003).
Melatonin ist besonders in den Gehirnzellen ein wirksamer Radikalfänger und wird von Anti-Aging-Medizinern mit breiter Indikationsstellung eingesetzt, ohne dass ein Wirksamkeitsnachweis außer dem schlaffördernden Effekt erbracht wäre. Während kurzfristige Anwendungen meist problemlos sind, können bei länger dauernder Gabe vor allem unphysiologisch hoher Dosen (mehr als 0,3 mg) diverse Nebenwirkungen auftreten, etwa Absinken der Körpertemperatur, Sedierung, Übelkeit, Unfruchtbarkeit durch Hemmung des Eisprungs, Kopfschmerzen, Depressionen, Juckreiz, Sinustachykardie (beschleunigte Herzfrequenz), Magen-Darm-Beschwerden und Alpträume.
Darüber hinaus kann Melatonin das Immunsystem stimulieren und ist bei Patienten mit Krankheiten dieses Systems – zum Beispiel Gelenkrheuma – nicht anzuwenden.
Melatoninprodukte können Verunreinigungen enthalten, die allergische Reaktionen hervorrufen. Melatonin tierischer Herkunft ist wegen der Infektionsgefahr (z.B. mit BSE-Erregern) nicht zu empfehlen; stattdessen sollten die sicheren synthetischen Produkte verwendet werden.
Antioxidantien (Radikalfänger)
Beim Alterungsprozess spielen Zellschäden – vor allem Veränderungen der Erbsubstanz DNS – durch freie Radikale vermutlich eine wichtige Rolle. Freie Radikale entstehen als Nebenprodukte des Energie liefernden Zellstoffwechsels. Es handelt sich hierbei um hochreaktive Moleküle, denen ein Elektron fehlt, mit der Tendenz, dieses einem benachbarten Molekül zu rauben. Sie besitzen eine besondere Affinität zur DNS des Zellkerns und der Mitochondrien, die dadurch eine Schädigung (Mutation) erfahren kann, wobei der Organismus in der Lage ist, solche genetischen Schäden zu über 90 Prozent zu reparieren. Die wenigen bleibenden Veränderungen am genetischen Material summieren sich jedoch im Lauf des Lebens. Daraus können Störungen verschiedener biologischer Funktionen resultieren.
Der Alterungsprozess soll durch ein Zuviel an Stress (Cortisolausschüttung), ein Übermaß an Zucker (vermehrte Insulinausschüttung) und eine damit verbundene Zunahme an freien Radikalen beschleunigt werden, da der „oxidative Stress“ zu Schäden an den Zellmembranen und am genetischen Material disponiert. Sofern die negativen Auswirkungen von freien Radikalen als Ursache des Alterns betrachtet werden, erscheint es logisch, Antioxidantien als Gegenmittel einzusetzen (Joseph et al. 1995, Harman 1998, Anisimov 2001).
Hierzu zählen die Vitamine C und E, Selen als Bestandteil der Glutathion-Peroxidase, beta-Carotin sowie Zink-Gluconat, wobei Vitamin E (und vermutlich auch Vitamin C) die Peroxidation reduziert (McCall, Frei 1999).
Allerdings bildet der Organismus zur Neutralisierung von freien Radikalen selbst antioxidativ wirksame Enzyme, deshalb erscheint es fraglich, ob die Zufuhr weiterer Antioxidantien einen zusätzlichen Nutzen bringt.
Es ist sicher falsch, die reaktiven Sauerstoffmoleküle (ROS) ausschließlich als zellschädigende Faktoren zu betrachten, die man durch Zufuhr von Antioxidantien unschädlich machen muss. Vielmehr ist eine Mindestmenge an Prooxidantien für eine intakte Zellkommunikation erforderlich und ein unkritischer, das heißt übermäßiger Einsatz von Antioxidantien abzulehnen (Temple 2000; Fleshner, Kucuk 2001; Coleman 2001; Henrotin et al. 2003; Urso, Clarkson 2003).
Sekundäre Pflanzenstoffe (bioaktive Substanzen, Phytochemikalien), deren genaue Zahl bis heute unbekannt ist, üben unterschiedlich positive Effekte auf den Organismus aus, wobei antioxidative, Krebs hemmende, den Cholesterinspiegel senkende, gerinnungshemmende und antimikrobielle Eigenschaften bekannt sind (Zeyfang et al. 2002). Beim Kauf von Gemüse ist auf eine bunte Mischung zu achten. Gelbe und orangefarbene Gemüse enthalten Carotinoide, rotes Gemüse Flavonoide und grüne Produkte Chlorophyll. Je abwechslungsreicher die Zufuhr erfolgt, umso mehr der vermutlich Zehntausenden Bioaktivstoffe kommen dem Organismus zugute.
Sonstige Anti-Aging-Produkte
Ginkgo biloba wird seit vielen Jahren zur Behandlung von Erektionsstörungen empfohlen, die auf Durchblutungsstörungen zurückgehen, wobei eine vor wenigen Jahren veröffentlichte placebokontrollierte Doppelblindstudie keinen signifikanten Unterschied zwischen der Verum- und der Placebogruppe erbrachte (Sikora et al. 1998). Offene Studien können einen Behandlungserfolg vortäuschen, da bereits unter Placebogaben Besserungen bei 25 bis 50 Prozent der Patienten erzielt werden (Moyad, 2002). Die Wirksamkeit von Ginkgo-Präparaten zur Vorbeugung einer Demenzerkrankung wird kontrovers beurteilt. Haifischknorpel wird zur unterstützenden Behandlung diverser Krebserkrankungen eingesetzt, ohne dass entsprechende klinische Studien einen Wirksamkeitsnachweis erbrachten (Miller et al. 1998). Es ist ohnehin äußerst fraglich, ob die darin enthaltenen großmolekularen Proteine überhaupt im Darm resorbiert werden (Moyad 2002). Außerdem enthält Haifischknorpel hohe Mengen an Calcium und kann bei Krebspatienten zu überhöhten Calciumwerten führen.
Die als Antidiabetika eingesetzten Biguanide besitzen zusätzlich auch einen hemmenden Effekt auf die Entstehung und das Wachstum von Tumoren und auf das Altern (Anisimov 2001), wobei vor einem größeren Einsatz die Ergebnisse von Langzeitstudien abzuwarten sind.
Schließlich werden alle paar Jahre in Jubelbroschüren und sensationslüsternen Medien neue Modeprodukte lanciert, die bei der Leichtgläubigkeit vieler Menschen reißenden Absatz finden, etwa Aloe vera, Apfelessig, Himalajasalz, Naturerde, Grassäfte und vieles andere mehr. Die Indikationen für derartige Produkte sind meist ebenso diffus wie vielfältig und umfassen Symptome wie Antriebsschwäche, Schlaflosigkeit, Müdigkeit, „Immunschwäche“, „Übersäuerung“, „Verschlackung“ und so weiter, wobei in der Regel jedes Mittel gegen nahezu sämtliche Beschwerden hilfreich sein soll.
„Ursalz“ und „Himalajasalz“ sind schlicht Natriumchlorid (NaCl) wie unser gewöhnliches Kochsalz auch. Im Übrigen ist dieses entweder Meer- oder Steinsalz, wobei letzteres aus Salzablagerungen stammt, die Millionen Jahre alt sind, also gewissermaßen auch ein „Ursalz“ darstellt, ohne dass dies an der Qualität das Geringste ändert.
Apfelessigkapseln sind seit den späten neunziger Jahren ein Trendprodukt, was bereits daraus ersichtlich wird, dass es mehrere Dutzend populäre Bücher über dieses Wundermittel gibt (Bergmann 2003). Es hilft angeblich bei Übergewicht, Atemwegserkrankungen, Krampfadern, Warzen und so weiter, wobei alle diese Wirkungen unbewiesen sind und es zudem schwer vorstellbar ist, dass ein Produkt so unterschiedliche Leiden wie Bronchitis und Krampfadern heilen soll.
Aloe vera wird unter anderem als „denkbar beste Nahrungsergänzung für den modernen Menschen“ angepriesen, da es reich sei an Vitaminen, Aminosäuren und Mineralstoffen. Dabei deckt es z. B. gerade einmal ein Vierhundertstel des täglichen Calcium- und ein Tausendstel des Magnesiumbedarfs (Bergmann 2003). Von einer reichlichen Mineralstoffversorgung kann also keine Rede sein, und auch die propagierten vielfältigen Heilwirkungen bei Zuckerkrankheit, Krebs und Hautkrankheiten sowie die Stärkung des Immunsystems sind unbewiesen. Trotzdem boomt das Geschäft: Der letzte Schrei sind Aloe-vera-Brot und -Pralinen. Grapefruitkern-Extrakt wird angepriesen als „natürliches Antibiotikum“ bei Grippe, Asthma, Allergien, Abszessen, Pilzerkrankungen, Gürtelrose, Psoriasis und so weiter mit Aussagen wie „das Wunder im Kern der Grapefruit“ oder „das mit Abstand interessanteste Breitband-Therapeutikum“. Selbstverständlich soll es keinerlei schädliche Nebenwirkungen aufweisen. Nachprüfungen ergaben, dass von einer antibiotischen Wirkung keine Rede sein kann und dass vielen Extrakten verbotenerweise das Konservierungsmittel Benzethoniumchlorid in Konzentrationen von bis zu 17 Prozent zugesetzt wurde (von Woedtke et al. 1999; Takeoka 2001, Bergmann 2003). Eine antibakterielle Wirkung von Extrakten ohne Zusatz von Konservierungsmitteln wurde bislang nicht nachgewiesen.
Infokasten
Warn-Appell
In einem öffentlichen Appell warnen 51 amerikanische Altersforscher vor nutzlosen bzw. gefährlichen Anti-Aging-Mitteln und -Kuren. Die Erstunterzeichner sind S. Jay Olshansky (Professor für öffentliche Gesundheit an der Universität von Illinois, Chicago), Leonard Hayflick (Professor für Anatomie an der Universität von Kalifornien, San Francisco) und Bruce A. Carnes (Mitarbeiter der Forschungsstelle am National Opinions Research Center/Center on Aging der Universität von Chicago). Sie begründen diesen Schritt in einem Essay, erschienen in Spektrum der Wissenschaft, August 2002, S. 68 – 71.
Die öffentliche Stellungnahme ist nachzulesen auf der Stephen Barretts „Quackwatch“-Seite unter http://www.quackwatch.org/01QuackeryRelatedTopics/antiagingpp.html
Inge Hüsgen
Mäßiges Ausdauertraining und gesunde Ernährung gehören zum Gesundheits-Rezept fürs ganze Leben.
Versprechungen der Anti-Aging-Industrie
Anti-Aging-Mediziner und die mit ihnen verbündeten Pharmafirmen appellieren an die Angst vieler Menschen vor dem Alter ebenso wie an die Sehnsucht nach jugendlichem Aussehen, anhaltender Vitalität und Leistungsfähigkeit. Häufig wird in einschlägigen Werbekampagnen zunächst in nahezu apokalyptisch anmutender Rhetorik Angst vor körperlichem Verfall geweckt, um anschließend die ersehnte Rettung davor zu präsentieren – in Form der angepriesenen Heil bringenden Produkte. Dabei ist es nahezu selbstverständlich, dass sich diese mit den Attributen „Natur“ oder „Bio“ schmücken oder gar beides anführen, wie zum Beispiel „Biologische Naturarznei“.
Ein typisches Beispiel bieten die folgenden Ausführungen einer Herstellerfirma von Melatonin: „Zwischen dem 45. und 65. Lebensjahr nimmt die Melatoninproduktion um das Zwölffache ab und verursacht die schrecklichen bekannten Folgen: Auftreten von schweren Krankheiten, beschleunigter Alterungsprozess, Müdigkeit, Verlust der sexuellen Kraft, Gedächtnisschwund, Verfall und schließlich Stillstand der Lebensfunktionen. (...) Noch vor wenigen Jahren hätten Sie sich in diese Schicksal fügen müssen. Aber heute besteht Anlass zu Hoffnung. Dank der jüngsten Forschungsergebnisse können Sie die Produktion dieses wertvollen Melatonins, das Sie unbedingt benötigen, auf natürliche Weise anregen.“ In Wirklichkeit beschränken sich „die schrecklichen Folgen“ einer im Alter verminderten Melatoninproduktion auf etwaige Schlafstörungen.
Andere Anbieter kombinieren Vitamine und Mineralstoffe mit zusätzlichen Wundermitteln, von denen es spezielle Zubereitungen für beide Geschlechter gibt. In einer Mitteilung heißt es: „Endlich ist es medizinisch bewiesen: Sie können 30 Jahre lang und länger 30 bleiben. Der Trick: Sie müssen drei wesentliche Geheimnisse der Natur kennen und nutzen. Das Beste daran ist: Ganz nebenbei werden Sie fast immun gegen die häufigsten Zivilisationskrankheiten (...) befreien Sie sich aus dem Gefängnis von Krankheit, Diäten und Einschränkungen (...) Und entdecken Sie die unendliche Kraft und das Glücksgefühl, das durch Ihren Körper strömt, wenn Sie gesund sind.“ Darauf folgt das Versprechen, dass „Müdigkeit, Depressionen, Übergewicht, Schlaflosigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Lustlosigkeit und alles, was Ihnen jetzt Sorgen bereitet, in wenigen Monaten aussehen wird wie ein böser Traum.“
Es ist nämlich ganz einfach: „Müdigkeit, Leistungsabfall, Konzentrationsschwäche, Schlafstörungen, Gewichtszunahme (...) alles wird durch Magnesiummangel verursacht.“ Bei Männern über 40 kann auch noch ein „gefährlicher Testosteronmangel“ eine Rolle spielen, doch nach Einnahme der freundlicherweise gleich mit angebotenen Präparate in Kombination mit einem „Turbo-Frühstück“, einem „Gute-Laune-Gericht“ und dem „ultimativen Aminosäuren-Power-Schub“ sind alle Wehwehchen wie weggeblasen. Als kleiner Nebeneffekt wird sich auch noch die „Denkgeschwindigkeit verdreifachen“. Dafür sollten einem die paar Euro wahrlich nicht zu schade sein, um sich „leicht und spielerisch (...) selbst neu erschaffen zu können.“
Die Vorgehensweise ist bei den meisten Anbietern die gleiche. Mit Zuckerbrot und Peitsche wird nach dem Motto argumentiert: Nimmst du die Vitaminpillen und Hormone, bleibst du jung, gesund und schön, ansonsten lassen sich körperlicher Verfall und Leistungseinbußen nicht mehr aufhalten. Und schreckt jemand vor den hohen Preisen zurück, wird ihm signalisiert: Für deine Gesundheit sollte dir kein Preis zu hoch sein. Du investierst in das Wertvollste, was du besitzt.
Die Anti-Aging-Industrie ist einer der wenigen boomenden Wirtschaftszweige, was an sich erfreulich ist, aber leider oft auf Kosten leichtgläubiger oder gar wundersüchtiger Menschen geht, denen Gesundheit, jugendliche Vitalität, Schönheit und Höchstleistungen im Bett versprochen werden und die kräftig zur Kasse gebeten werden. Wie oft die hochgesteckten Erwartungen enttäuscht werden, ist unbekannt, da aus Schamgefühl kaum ein geprellter Kunde an die Öffentlichkeit geht und so mancher dank Placeboeffekt tatsächlich eine Besserung seines Befindens zu verspüren glaubt. Seriöse Untersuchungen zur Wirksamkeit der meisten genannten Mittel stehen entweder aus oder haben enttäuschende Resultate erbracht. Trotzdem wird die Jahrtausende alte Illusion eines Lebens in dauerhaft jugendlicher Verfassung weiter propagiert und von vielen geglaubt. Hierin sind sich Geschäftemacher und Utopisten einig: Beide nutzen die Angst vor dem Altern schamlos aus. Dabei dürfte jedem vernünftigen Menschen klar sein, dass es weniger wichtig ist, dem Leben mehr Jahre zu geben als vielmehr den Jahren mehr Leben, und dass Altwerden und dabei Jungbleiben einen unlösbaren Widerspruch darstellt.
Infokasten
Die „sieben medizinischen Todsünden“
So fragwürdig die Anti-Aging-Bewegung in mancherlei Hinsicht ist, hat sie dennoch dazu beigetragen, dass Ärzte und Laien eine größere Sensibilität für den Bereich der Gesundheitsvorsorge entwickelt haben. Früher sahen die meisten Ärzte ihre Aufgabe darin, Krankheiten zu erkennen und – wenn möglich – zu heilen. Die wichtigste und vermutlich effektivste ärztliche Aufgabe, nämlich die Gesundheitserziehung mit dem Ziel der Krankheitsvorbeugung, wurde demgegenüber sträflich vernachlässigt.
Deren erstes und wichtigstes Anliegen muss darin bestehen, die sieben medizinischen Todsünden in das Bewusstsein der Bevölkerung einzuprägen:
• Übermäßige Nahrungszufuhr mit Tendenz zu allgemeiner Verfettung
• Missbrauch von Genussmitteln (Nikotin, Alkohol, Drogen)
• Bewegungsmangel
• Reizüberflutung
• Daueranspannung in Arbeit und Freizeit (Stress)
• Sonnenkult trotz UV- und Ozonbelastung sowie
• Mangelnde Verarbeitung von Konflikten und Frustrationen; statt dessen Verdrängung der Probleme und Flucht in Zerstreuungen.
Hieraus ergibt sich eine ganze Reihe von Maßnahmen, die teils der Einzelne, teils die Gesellschaft als Ganzes zu vollziehen haben:
• Bewegungs- und Sportförderung
• Ernährungsberatung und -erziehung schon in der Kindheit,
• Schadstoffreduzierung in Wasser, Luft, Boden, Lebensmitteln, Kleidung, Möbeln und Wohnräumen
• Verminderung der Lärmbelastung und der optischen Reizüberflutung,
• Stressreduktion und
• Suchtprophylaxe
(nach Manfred Stöhr, Die Wahrheit über Anti-Aging, S. 106)
Literatur
Anisimov, V. N. (2001): Life span extension and cancer risk: myths and reality. Experimental Gerontology 36, S. 1101 – 1136.
Baskett, J. J. et al. (2003): Does melatonin improve sleep in older people? A randomised crossover trial. Age and Ageing 32, S. 164 – 170.
Bergmann, J. (2003): Nahrungsergänzungsmittel. Persönliche Mitteilung.
Brückel, J. (2002), Hormonelle „Verjüngungskuren“ – Warnen Sie Ihre Patienten vor falschen Versprechungen! MMW 39, 144, S.24 – 27.
Callies, F.; Allolio, B. (2002): Adrenopause – eine substitutionsbedürftige Homoninsuffizienz. Klinikarzt 31, 12, S. 365 – 369.
Coleman, N. A. (2001): Antioxidants in critical care medicine. Environmental Toxicology and Pharmacology 10, S. 183 – 188.
Dören, M. (2002): Östrogene und Gestagene in der Postmenopause – keine chronische Medikation zur Prävention. Klinikarzt 31, 12, S. 352 – 359.
Fleshner, N. E.; Kucuk, O. (2001): Rationale and current status as chemopreventive agents for pro-state cancer. Urology 57 (Suppl 4A), S. 90 - 94.
Flynn, M. A.; Weaver-Osterholtz, D.; Sharpe-Timms, K. L.; Allen, S.; Krause, G, (1999): Dehydroepiandrosterone replacement in aging humans. J Clin Endocrinol Metab, Bd. 84, Nr. 5, S. 1527 – 1533.
Hlatky, M. A. ; Boothroyd, D. ; Vittinghoff, E. et al. (2002) : Quality-of-Life and Depressive Symptoms in Postmenopausal women After Receiving Hormone Therapy. JAMA 287, S. 591-597.
Harman,D. (1998): Aging and oxidative stress. J Int Fed Clin Chem, Bd. 10, Nr. 1, S. 24 – 27.
Hays, J. et al. (2003) : Effects of estrogen plus progestin on health-related quality of life. New Engl J Med 348, S. 1839 – 1854.
Henrotin, Y. E.; Bruckner, P.; Pujol, J.-P. (2003): The role of reactive oxygen species in homoestasis and degradation of cartilage. Osteoarthitis and Cartilage 11, S. 747 – 755.
Herbert, V.; Kava, R. (1995): The Miracle of Melatonin? Health Priorities, Volume 7, Number 4. Herxheimer, A.; Petrie, K. J. (2002): Melatonin for the prevention and treatment of jet lag (Cochrane Review). The Cochrane Library, Oxford, 2. Aufl.
Huppert, F. A.; van Niekerk, J. K. (2002): Dehydroepiandrosterone (DHEA) supplementation for cognitive function (Cochrane Review). The Cochrane Library, Oxford, 2. Aufl.
Jockenhövel, F.; Lerchl, A.; Allolio, B. (2001): Hormone gegen das Altern – Möglichkeiten und Grenzen. Deutsches Ärzteblatt 98, S. B1763 – 1767.
Joseph, J. A.; Cao, G.; Cutler, R.C. (1995): In vivo or in vitro administration of the nitrone spin-trapping compound, n-tert-butyl-alpha-phenylnitrone, (PBN) reduces age-related deficits instriatal muscarinic receptor sensitivity. Brain Res, Bd.671, Nr. 1, S. 73 – 77.)
Khatta, M.; Alexander, B. S.; Krichten, C. M. et al. (2000): The effect of coenzyme Q 10 in patients with congestive heart failure. Ann Intern Med 132, S. 636 – 640.
Lockwood, K.; Moesgaard, S.; Hanioka, T.; Folkers, K. (1994) Apparent partial remission of breast cancer in “high risk” patients supplemented with nutritional antioxidants, essential fatty acids and coenzyme Q 10. Mol Aspects Med 15 (Suppl), S. 231 – 240.
McCall, M.R.; Frei (1999): Can antioxidant vitamins materially reduce oxidative damage in humans? Free Radic Biol Med, Bd. 26, Nr. 7-8, S. 1034-1053.
Miller, D. R.; Anderson, G. T.; Stark, J. J. et al. (1998): Phase I/II trial of the safety and efficiacy of shark cartilage in the treatment of advanced cancer. J Clin Oncol 16, S. 3649 – 3655.
Morales, A. J.; Heubrich, R. H. et al. (1998) : The effect of six months treatment with a 100 mg daily dose of dehydroepiandrosterone (DHEA) on circulating sex steroids, body composition and muscle strength in age-advanced men and women. Clin Endocrinol Oxf 49, S. 421 – 432.
Moyad, M. A. (2002) : The placebo effect and randomized trials : analysis of alternative medicine. Urol Clin N Am 29, S. 135 – 155.
Prieme, H.; Loft, S.; Nyyssonen, K. et al. (1997): No effect on supplementation with vitamin E, ascorbic acid, or coenzyme Q 10 on oxidative DNA damage estimated by 8-oxo-7,8-dihydro-2’-deoxyguanosine excretion in smokers. Am J Clin Nutr 65, S. 503 – 507.
Sikora, R.; Sohn, M.-H.; Engelke, B. et al. (1998): Randomized placebo-controlled study on the effects of oral treatment with Gingko biloba extract in patients with erectile dysfunction. J Urol 159, S. 240 A.
Soja, A. M., Mortensen, S. A. (2002): Treatment of congestive heart failure with coenzyme Q 10 illuminated by meta-analyses of clinical trials. Mol Aspects Med 18, S. 159 – 168.
Spitzer, R. L. et al. (1999): Jet lag: clinical features, validation of a new syndrome-specific scale, and a lack of response to melatonin in a randomized, double-blind trial. Am J of Psychiatry 156, S. 1392 – 1396.
Strasburger, C. J.; Jaursch-Hancke, C.; Kann, P. H. et al. (2002): Missbräuchlicher Einsatz von humanem Wachstumshormon in der Anti-Aging-Medizin. Deutsches Ärzteblatt 99, 47, S. B2682 – B2684.
Takeoka, G.; Dao, G.; Wong, R. Y. et al. (2001): Identification of benzethonium chloride in commercial grapefruit seed extracts. J Agric Food Chem 49, 7, S. 3316 – 3320. Temple, M. J. (2000): Antioxidants and disease: more questions than answers. Nutr Res 20, 3, S. 449 – 459.
Urso, M. L.; Clarkson, P. M. (2003): Oxidative stress, exercise, and antioxidant supplementation. Toxicology 189, S. 41 – 54.
von Woedtke, T.; Schlueter, B.; Pflegel. P. et al. (1999): Aspects of the antimicrobial efficiacy of grapefruit seed extract and its relation to preservative substances contained. Pharmazie 54, 6, S. 452 – 456.
Wolf, E.; Kahnt, E.; Ehrlein, J. et al. (1993): Effects of long-term elevated serum levels of growth hormone on life expectancy of mice: Lessons from transgenic animals. Mech Ageing Dev 68, S. 71 – 87.
Zandi, P. P., Carlson, M., Plassmann, B. (2002): Hormone Replacement Therapy and Incidence of Alzheimer Disease in Older Women. JAMA 288, S. 2123 – 2129.
Zeyfang, A.; Feucht, I.; Rükgauer, M.; Nikolaus, T. (2002): Anti-Aging durch gesunde Ernährung. MMW 39, 144, S. 27 – 30.
Dieser Artikel ist ein Auszug aus: Manfred Stöhr. Die Wahrheit über Anti-Aging. Risiken erkennen – Chancen nutzen. Eichborn Verlag, Frankfurt 2005.
Prof. Dr. Manfred Stöhr, geboren 1939, war bis zu seiner Emeritierung 2004 Direktor der Klinik für Neurologie und Neurophysiologie in Augsburg.
Er hat zahlreiche Fachbücher veröffentlicht, von denen sieben zu den Standardwerken der Neurologie zählen.
Kontakt: Zentrum für Wissenschaft und kritisches Denken, Arheilger Weg 11, 64380 Roßdorf